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Berlin [ENA] Auf diesen Augenblick hat die Nation mit Sicherheit lange gewartet. Endlich wird den Bürgern klar gemacht, welchen Bildungsgrad man von ihnen erwartet. Natürlich nicht von allen. Aber doch zumindest so an die 17 Millionen - also etwa die Anzahl der Bewohner Ostdeutschlands.
Seit einiger Zeit gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen einen bemerkenswerten neuen Service: Die "Tagesschau in einfacher Sprache". Die Begründung für diese journalistische Dienstleistung kann jeder selbst nachlesen - natürlich im Internet. Allerdings dann in normaler Sprache - also mit Verwendung von Genitiv und Dativ. Geschätzt wird, dass diese Dienstleistung für etwa 17 Millionen Bürger von großer Bedeutung ist - also etwa die Anzahl der Bevölkerung Ostdeutschlands. Mir fällt kein anderes Land ein, wo man dem Zuschauer ein dermaßen beschränktes geistiges Niveau bescheinigt, dass man einen "Finanzminister" als "Minister für Geld" übersetzen muss.
Eine Ausnahme fällt mir ein: China! Meine Betreuerin in Peking erklärte mir, dass der normal gebildete Chinese durchschnittlich 2000 Schriftzeichen kennt (manchmal auch etwas weniger) und damit gut durch das normale Leben kommt. Sehr hoch gebildete chinesische Experten kommen auf bis zu 50 Tausend (man geht von ca. max. 100 Tod. bekannten Zeichen aus). Vielleicht kommt daher auch der bei uns bekannte Ausdruck, mit Fremdwörtern überladene und thematisch eingegrenzte Beiträge als "Fachchinesisch" zu bezeichnen. Nun kann ja jeder seine Wahrnehmung selbst bestimmen. Für mich ist es jedoch mehr als eine intellektuelle Beleidigung, wenn man nicht nur sehr langsam spricht - das wäre ja noch zu akzeptieren - sondern vorsätzlich
die deutsche Grammatik verfälscht - entspricht dem "Schreiben nach Hören" - und macht eigentlich selbst bei Menschen mit langsamerer Auffassungsgabe und stärkeren Konzentrationseinschränkungen wenig Sinn. Aber es sollte sich jeder sein eigenes Bild von dieser neuen informativen Erscheinungsform machen. Für mich hat sie etwas infantiles und selbst für den durchschnittlich gebildeten Bürger dürfte sich eine leicht humoristische Note nicht verbergen. Mein Respekt gilt den Sprechern dieser Art von Tagesthemen, die den Vortrag mit voller Ernsthaftigkeit und ohne Lachanfälle absolvieren. Das war eine der gegenwärtigen Ereignisse, die zwar am Verstand zweifeln lassen aber nicht zwangsläufig über längere Zeit zu Depressionen führen müssen.
Das sieht schon anders aus, wenn man fast täglich in irgend einem Beitrag von einem Minister für Verteidigung über die "Kriegstüchtigkeit" der Deutschen informiert wird. In forschem Ton und dem Auftreten eines Führungsoffiziers weist dieser Minister - der auch erstaunlicherweise nach Presseinformationen der beliebteste Politiker im Lande ist - darauf hin, dass Deutschland bis 2029 kriegsfähig ausgerüstet sein muss. Damit sich der Bürger daran gewöhnt, wird stets das Wort "Krieg" in allen möglichen Kombinationen benutzt. Wir können allerdings froh sein, dass uns der "Russe" vor 2029 nicht angreifen wird. Aber bis dahin ist ja der Krieg in der Ukraine bereits geplant, den "Putin" nicht gewinnen darf. Da wird dieser sich doch hüten,
darüber hinaus noch einen Konflikt mit der NATO zu riskieren. Nach den Äußerungen, die nicht nur aus Deutschland sondern aus Ländern wie Litauen, Estland, Lettland, Schweden, Polen u.a. kommen, könnte man annehmen, dass ein Wille zur Konfliktlösung im Sinne eines Friedensschlusses, kurzfristig nicht auf der Agenda steht. Es ist schon erstaunlich, dass man sich mit solch schwammigen Aussagen wie: "Die Ukraine darf nicht verlieren; Putin darf nicht gewinnen", in allen möglichen Varianten, zufrieden gibt. Kann man erwarten, dass die EU in absehbarer Zeit positiven Einfluss auf die Beendigung des Ukrainekrieges nehmen wird. Ich hege Zweifel.
In den sonst eigentlich einflussreichen Ländern herrschen gegenwärtig innenpolitische Probleme, die ein gemeinsames Handeln nicht gerade erleichtern. Nachdem Italiens neue "Führerin" sich zur Unterstützung der erneuten Kandidatur der "alten Kommissionspräsidentin" überreden ließ, sicherte sich Frau Meloni damit einen sicher nicht zu vernachlässigenden Einflussbonus im EU-Parlament. Ich habe mir die Mühe gemacht und das Programm der von ihr geführten Partei gelesen. Mein Eindruck war, dass die Positionen sich mit denen der AfD durchaus vergleichen lassen. Also wäre auch hier eine "Brandmauer" denkbar? Aber solch ein Begriff wird im EU-Parlament nicht Einzug halten und macht in dieser Struktur auch wenig Sinn.
Frankreich ist durch ein politisches Schachspiel vorläufig noch einmal an der Vormachtstellung des RN von Marine Le Pen vorbei geschrammt. Der Sieg des linken Bündnisses macht die Sachlage aber nicht unbedingt besser - das Problem ist verschoben, jedoch nicht behoben. In der Niederlande wird sich die Situation auch erst in den nächsten Monaten klären und hoffentlich stabilisieren. Zu allen Strukturproblemen hat jetzt aber Ungarn ein halbes Jahr noch eine verstärkte Einflussmöglichkeit. Das macht insgesamt die Situation in Europa nicht leichter. Eigentlich ist keines der wichtigen Probleme auch nur ansatzweise gelöst. Da kann man die "Tagesthemenn in einfacher Sprache" nur begrüßen.