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Die geduldete Diktatur

Verantwortlicher Autor: Riesenberg Berlin, 10.09.2020, 15:40 Uhr
Presse-Ressort von: Dieter Kurt Bericht 6408x gelesen
Updates ohne Ende und nicht immer erwünscht
Updates ohne Ende und nicht immer erwünscht  Bild: Fotomontage:Riesenberg

Berlin [ENA] Wie würde ein Kunde reagieren, der nach der fälligen Inspektion seines geliebten Autos, jenes zwar wieder zurück bekommt, allerdings in einer anderen Farbe, eventuell ist die Lenkung auf der anderen Seite, der Motor läuft nicht mehr rund und hat Fehlzündungen? Er wäre eventuell etwas verärgert.

Im Normalfall würde man die Rücknahme verweigern und zumindest die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustandes einfordern. Dies wäre meines Erachtens noch gerade so zu akzeptieren. Über einen Wechsel der Werkstatt könnte man darüber hinaus ebenfalls nachdenken. Es ist jedoch überraschend, dass sich nur wenige darüber beschweren, dass auf dem Gebiet der Kommunikations- und Unterhaltungstechnik etwas Vergleichbares manchmal in monatlichen oder noch kürzeren Intervallen passiert. Dieser Umstand wird mehrheitlich fast klaglos akzeptiert, auch wenn er manchmal mehr stört als hilft. Wenn man z.B. bei einem Smartphone, welches nicht älter als ein halbes Jahr ist, bereits mindestens drei "Updates" durchführen musste, nervt das.

Jeder der einen PC, einTablet, Laptop oder ein Smartphone besitzt, wird schon einmal in die Situation gekommen sein, dass sich das jeweilige Gerät mit einer Aufforderung zum "erforderlichen Update" gemeldet hat. Meist mit vielen Hinweisen auf Verbesserung der Sicherheit und der Fehlerbeseitigung bzw. dem Schließen von Datenlücken. Soweit so verständlich. Da will der Hersteller helfen und unsere Gräte eben sicherer machen. Leider werden die Abstände der Geräteentwicklung immer kürzer, die Funktionen zahlreicher und wenn man nach der Anzahl der verfügbaren "Apps" geht, immer besser. Aber mal Hand aufs Herz: Wieviele der auf dem Smartphone verfügbaren Apps liegen ungenutzt herum? Man darf annehmen, dass es die Mehrheit ist.

Für die meisten Nutzer von PC, Tablet, Notebook, Smartphone und Co. (im folgenden nur "EDV" genannt) sind die technischen und inhaltlichen Bestandteile so durchsichtig wie eine Blackbox. Das Interesse, sich um technische Details zu kümmern oder sie in vollem Umfang zu begreifen, ist besonders bei den älteren Nutzern nicht sehr ausgeprägt. Funktionieren sollte es und darüber hinaus auch das machen, was der Käufer sich so vorstellt. Viele Hard- und Softwarehersteller haben sich auch so gut als möglich darauf eingestellt. Der Nutzer ist ihnen damit aber auch immer mehr gnadenlos ausgeliefert. Wir reden hier nicht von dem interessierten "Technikfreak", sondern den "Normalbürger*Innen", deren Interessen an der Nutzung überschaubar bleiben.

Wenn man - wie der Autor - zu der Gruppe der technikaffinen Zeitgenossen zählt und jede Handy- und Smartphonegeneration mitgemacht hat, hat dies Auswirkungen auf die Betrachtungsweise. Schon die ersten Heimcomputer - allen voran der legendäre C 64* - für die Zeit der Mitte der 80er Jahre des letzten Jahrtausends ein absoluter Verkaufsschlager, konnten eine Hilfe bei der Verarbeitung von Daten sein, vor allem aber in der Anwendung als "speichernde" Schreibmaschine und programmierbarer Kalkulator (wenn man die Spiele mal ausblendet). Schnell fand sich eine große Community mit guten Ideen und Hilfen zur Erstellung eigener Programme. Ja, das ging damals - also vor fast 40 Jahren - noch, dass man Anwenderprogramme selber schreiben konnte.

Doch die Entwicklung schritt rasant voran. Die Programme wurden komplexer, die Betriebssysteme liefen nach Einführung der grafischen Oberflächen immer verdeckter und nach der Überwindung einer sogenannten RAM-Krise (Speicherplatz war rar und teuer), hatte sich eine Hard- und Softwareproduktion herausgebildet, deren Interesse an der Eigeninitiative der Hobby-Programmierer versiegte. Mit dem Erscheinen des ersten Smartphones 2007 (iPhone** der 1. Generation) wurde die Möglichkeit der Eigengestaltung sehr gering. Sogar der Zugang war reglementiert und lag zu dieser Zeit in Deutschland in der Obhut eines einzigen Providers. Aber letztlich war wohl die Faszination größer als der Wille nach Unabhängigkeit.

Wenn man heute aus der großen Zahl der Anbieter und Modelle von Smartphones auswählen muss, geht es um den Ursprung als "Handy" schon lange nicht mehr. Bei der Beschreibung der Geräte kommt die Nutzung als Sprachübermittler - also Telefon - mittlerweile an letzter Stelle. Wichtiger sind Foto- und Videoqualität, Auflösung des Displays, Geschwindigkeit, Speichergröße und Akkulaufzeit. Ach ja - und dann kommt noch die Erwähnung der Sprachqualität. Der Käufer bekommt sein Gerät mit einer Vielzahl vorinstallierter Programme, von denen er im Laufe der Gebrauchsphase nur wenige benötigen wird, aber dennoch noch unzählige zusätzlich erwerben kann, von denen er irgendwann feststellt, dass er auch diese nur als Speicherkiller benutzt.

Nun soll das ja kein Rund-Um-Schelte gegen die Elektronikbranche werden - schon gar nicht, wenn man die schöne neue Welt auf der letzten IFA bewundern konnte. Allerdings ist die Dominanz und Rücksichtslosigkeit - insbesondere der Softwareunternehmen- kaum zu überbieten. Da werden nach dem Update, welches man nicht unbedingt wollte und auch selbst nicht brauchte - plötzlich Programme aufgespielt, die man so überhaupt nicht wollte. Und die sind dann auch noch "systemimmanent" - also nicht löschbar. Eigentlich entbehrte es ja nicht einer gewissen Komik, dass meine Frau an dieser "Nötigung" (wie ich es nenne) sogar Gefallen fand. "Schau mal", sagte sie, "jetzt kann ich sogar sehen wieviele Schritte ich jeden Tag laufen muss..."

Das ging aber mehr gegen mich, was mich veranlasste, sie darauf hinzuweisen, dass noch viele andere nette Dinge ohne ihr Wissen aufgezeichnet werden. Leider sind die Daten wertlos, es sei denn sie würde sich ihr Smartphone ständig um den Hals hängen und nicht stundenlang - während der Gartenarbeit - im Haus liegen lassen. Aber diesen Hinweis ignorierte sie geflissentlich. Allerdings brachte sie dann eine andere Situation doch zum Nachdenken. Als ein neues Update auf ihrem Laptop aufgespielt wurde (sie hatte nicht den Hinweis gelesen, dass danach keine 32-bit-Programme mehr funktionieren) musste sie danach feststellen, dass viele der geliebten, bewährten Programme nicht mehr funktionierten. Nicht mal das Textverarbeitungsprogramm lief noch.

Aber der Höhepunkt war eigentlich, dass nicht die Willkür und das diktatorische Update-Verhalten des Herstellers die Kritik ertragen musste, sondern die Schuld blieb an mir hängen. Ich hätte ja warnen können und nun muss die Korrespondenz erst mal warten. Zum Trost habe ich ihr meine alte Schreibmaschine von 1912 bereitgestellt. Die tut es immer noch, die Buchstaben sind die gleichen, nur das Eurozeichen fehlt. Leider kam meine gut gemeinte Hilfe - wie so oft - nicht so gut an, wie gedacht. (*C64 ist ein Homecopmputer der Fa. Commodore; **iPhone ist eine Bezeichnung von Apple)

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